Ich verließ meine Wohnung zur Mittagszeit. In der Tasche etwas Geld für ein Taxi, in der Hand hatte ich beide Krücken und auf dem Rücken einen Rucksack um später meinen Schuh besser transportieren zu können.
Dank der Abkürzung durch den Schleichweg brauchte ich nur zehn Minuten zu McDonalds. Ohne lange auf den Aushang zu schauen, ging ich erstmal rein und legte Rucksack und Krücken ab. Dann schaute ich auf die Angebote. Als Henkersmahlzeit entschied ich mich für ein McMenü mit neun Chicken Nuggets. Diese Nuggets waren schon immer besser als die Burger. Dazu eine Fanta und – um die liebe Seele zu beruhigen – keine Pommes, sondern einen Chefsalat.
Mit meiner Bestellung auf einem Tablett in den Händen ging ich zu meinem Platz. Bevor sie kalt wurden, aß ich zuerst die Nuggets mit leckerer Currysoße. Hmmm lecker; ein Genuss!
Danach zum allerersten Mal: einen „richtigen“ Salat bei McDonalds… mit einer Gabel… sowas sieht man nicht alle Tage in dem Fastfood-Restaurant. Der Salat war allerdings nur mäßig gut. Die Pommes hätten mir mehr geschmeckt, zumal noch etwas Currysoße übrig war. Aber egal. Hauptsache gesund.
Nachdem ich alles aufgegessen und ausgetrunken hatte, schaute ich auf die Uhr und sah, dass ich noch Zeit hatte, so nahm ich mir noch eine kostenlose Kino-Zeitung vom Tresen und las noch einige Minuten darin. Dann nahm ich meinen Rucksack und meine Krücken und machte mich auf dem Weg zur Praxis meines Dermatologen.
Fünf Minuten später und zwei Straßenkreuzungen weiter, ging ich durch die Hauseingangstür und flitzte die Treppenstufen hoch. Oben angekommen sah ich schon einige Personen stehen. Ich sah nur kurz auf die Öffnungszeiten und wusste ich war noch immer zu früh und die Mittagspause war noch nicht beendet. So warteten wir dann zusammen. Zwischendurch kam noch eine Frau aus dem Fahrstuhl, ging an uns vorbei und rüttelte an der verschlossenen Tür bis auch sie merkte, dass die verschlossen war. Hämisches Grinsen konnte ich von einer anderen Frau sehen, die sich gerade durchs Haar strich, was soviel bedeuten könnte wie: „Man ist die doof! So wie die aussieht. Gut das ich besser ausschaue.“
Fünf Minuten später wurde die Tür dann von innen geöffnet und wir durften eintreten.
Als ich an der Reihe war, meldete ich mich an und durfte danach im Wartezimmer meinen Mantel anhängen und Platz nehmen. Nach einer halben Stunde gemeinsames Schweigen mit den anderen Patienten wurde ich aufgerufen. Ich nahm meine Krücken und meinen Rucksack und ging mit einer Schwester ins bereits bekannte Behandlungszimmer.
„Na dann machen sie mal Ihren Fuß frei und setzen sich hier auf die Liege!“ Gesagt. Getan; und als ich dann da oben drauf saß, fragte mich die Schwester, welcher Fleck denn nun entfernt werden solle. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass heute alle drei Leberflecke entfernt werden sollten, welche drei genau, wüsste ich jetzt aber nicht mehr, da die Untersuchung schon fast ein halbes Jahr her war. Dafür kam ich ja auch mit den Krücken her und habe auf Arbeit jedem gesagt dass ich in den nächsten zwei Wochen krankgeschrieben sein werde.
„Ach so? Also im Computer steht, dass heute nur einer gemacht werden soll. Na die Ärztin schaut sich das gleich mal an.“ Mit diesen Worten verließ sie das Behandlungszimmer und ließ mich alleine zurück. Doch kurze Zeit später hörte ich schon eine kleine Diskussion zwischen Ärztin und Schwester in der auch mein Name fiel. Nun wurde es ernst.
Die Ärztin kam rein und reichte mir die Hand. Sie kam gleich auf den Punkt: wir werden heute nicht alle drei Leberflecke entfernen; das könnte zu schmerzhaft werden. Wir nehmen heute den größten hier an der Seite und wenn sie die Schmerzen aushalten können über die Nacht, dann kommen sie morgen wieder, damit wir die restlichen zwei entfernen können. Am Fuß strammt und zerrt es immer etwas stärker, weshalb es auch schmerzhafter ist. Nachdem wir uns auf Ihre Meinung geeinigt hatten, legte ich mich auf die Seite und ließ die Prozedur über mich ergehen: Fünf oder sechs Mal rammte sie mir ihre betäubenden Spritzen in den Fuß und jedes Mal verzerrte ich mein Gesicht mehr. Ich hasse diese Spritzen! Danach wurde es nicht mehr so schmerzhaft aber auch nicht gerade angenehmer: ich hörte sie schlitzen und schnippeln; hörte wie sie die Fäden durch meine Haut zog, festzerrte und abschnitt. Auch wieder fünf bis sechs Mal. Ich spürte zwischendurch, wie sie an meinem Fuß etwas wegwischte, was das war ist klar: mein Blut.
Dann war alles vorbei. Die Ärztin verabschiedete sich bei mir. Die Schwester gab mir noch einen dicken großen Verband mit drauf und meinte ich könnte nun aufstehen. Vorsichtig sprang ich mit einem Fuß von der Liege und setzte mich schnell in einen Stuhl.
„Darf ich denn nun Socken und Schuhe tragen? Also wegen dem physischen Druck?“
Die Schwester sah mich erstaunt an und meinte Socken ja und Schuhe nur welche, die nicht so eng sind. Das ist doch mal eine Ansage, dachte ich mir und ging mit Socken und Schuhen auf den Krücken heraus zum Empfang. Die Schwester telefonierte gerade. Also humpelte ich schon mal in den Warteraum und holte meinen Mantel, den ich vor dem Empfang schon mal überzog.
Als ich dran war, fragte ich nach meiner Krankschreibung, in Fachkreisen auch AU-Bescheinigung genannt. Ich bekam eine und sah zufällig nochmal drauf.
„Aber die ist ja nur für heute!?“
„Oh das tut mir leid. Moment ich stelle Ihnen eine neue aus. Wie lange soll die denn gehen?“
Ich antwortete: „Naja mit Frau Doktor waren eigentlichen zwei Wochen abgemacht.“
„Oh da muss ich sie nochmal fragen.“ Mit diesen Worten verschwand die Schwester kurz hinter einem Vorhang und kam dann gleich darauf wieder mit der Information, dass ich erstmal nur eine Woche krankgeschrieben werde.
Na toll da hat man einen Monat zuvor mit der Ärztin drei Flecke und zwei Wochen abgemacht und bekommt dafür nur einen Fleck und eine Woche… das sich auch niemand an Abmachungen halten kann.
Nun bekam ich also meine Krankschreibung und damit wollten sie mich schon verabschieden, da hatte ich noch eine letzte Frage.
„Wie ist denn das nun? Brauche ich jetzt ein Taxi? Ich meine, es wurde ja jetzt nur ein Fleck entfernt und nicht drei?“
Auf die dumme Frage einer Schwester, ob ich denn Schmerzen hätte – die ja wegbetäubt sind – verneinte ich. Auf die schon bessere Frage, ob ich in der Nähe wohne, meinte ich, dass ich normal nur 15 Minuten zu Fuß brauchen würde. Am Ende haben sie mir empfohlen „zu Fuß zu gehen“. Daraufhin verabschiedete ich mich und ging auf Krücken aus der Praxis. In den Fahrstuhl rein, aus den Fahrstuhl raus und aus dem Gebäude. Puh die ersten Meter gingen ja noch recht flott, aber ich merkte schon, dass es ein ganz schönes Stückchen dauern wird. Also „krückte“ ich zur nahe gelegenen Bushaltestelle und wartete auf den Bus. Als der dann eintraf, überlegte ich kurz, wie ich denn nun in den Bus gelangte ohne meinen linken Fuß aufzusetzen. Irgendwie leicht springend, leicht wankend gelangte ich dann hinein. Sofort wurde mir ein Platz angeboten den ich danken annahm auch wenn ich nur eine Station weiter fuhr. Und schon kam ein ähnliches Problem: wie kam ich wieder heraus? Zuerst wollte ich die Krücken im Bus abstützen, bis ich mir dann dachte, wenn ich mich gleich auf den richtigen Gehwegboden abstütze wäre das einfacher. Und das war es auch. Nun musste ich nur noch eine kleine Strecke von ca. 250 Metern zurücklegen. Normalerweise etwa fünf Minuten. Nach 15 Minuten und etwa der halben Strecke spürte ich eine Kraftlosigkeit in mir austeigen, die immer stärker wurde. „Oh nein“, dachte ich mir, „dass ist der Kreislauf!“ Einige Schritte schaffte ich noch, dann war mir klar, ich musste mich hinsetzen. Doch wohin? Eine Sitzmöglichkeit wie eine Bank fand ich nicht in der Nähe und somit setzte ich mich auf die leicht grüne Erde. Es wurde nicht besser und somit legte ich mich hin. Ich legte die Krücken neben mich hin und legte mich rücklings auf meinen Rucksack und atmete tief ein und aus.
Es dauerte nicht lange da kamen die ersten Passanten vorbei und fragten mich, ob alles okay sein. Was für eine dumme Frage schon wieder dachte ich mir und antwortete mit einer dummen Antwort: „Alles gut! Es ist nur der Kreislauf.“
Auf die Frage, ob man einen Krankenwagen verständigen soll, verneinte ich. Für die noch etwa 100 Meter brauchte ich keinen Krankenwagen, zumal ich gehört habe, dass der Einsatz wohl sehr teuer sein soll. Über was man so alles nachdenkt, wenn man „Kreislauf“ hat. Ich spürte einen trockenen Mund und fragte eine andere Passantin, ob sie was zu trinken hätte. Ich kam mir schon vor wie ein Bettler. Sie hatte natürlich nichts dabei, aber sie bot an zur nahegelegenen Tankstelle zu gehen und was zu holen. Ich überlegte kurz, dann war mir alles egal und ich stimmte zu. Ich gab ihr zwei Euro und hoffte, dass sie bald wieder da wäre. Erst im Nachhinein kam mir der Gedanke, dass sie auch einfach mit dem Geld abhauen könnte. Was sie aber nicht tat! Sie kam nicht nur mit dem Wasser wieder, sondern hatte auch noch eine Überraschung für mich parat: die Polizei. Auch das noch: zwei Bullen.
„Na. Was ist denn hier los?“ Auf diese Frage erklärte ich, dass es mein Kreislauf sei und ich grade eine Leberfleckentfernung hatte. „Na das ist ja nicht so schlimm und warum die Krücken?“
Ich trank erstmal einen Schluck Wasser und bedankte mich bei der Frau, die es mir gebracht hatte.
„Nun ja, der wurde am Fuß entfernt und nun darf ich damit halt nicht mehr auftreten.“
Es machte „klick“ beim Polizisten. Wollen sie sich ins Auto setzen? Ihre Hose ist, wenn sie es nicht schon ist, sicher sehr bald aufgeweicht.“
Wieder kam ich nicht auf die Idee, dass sie mich vielleicht nur festhalten und im Auto einsperren wollen.
„Ich möchte Ihnen nicht das Auto vollspucken.“ Mit diesen Worten schaute ich plötzlich zur Seite und übergab mich sitzend neben mich… War das einmal ein Chicken Nugget oder ein Salatblatt? Auf jeden Fall war da braune Currysoße mit dabei.
„Nun geht es mir schon etwas besser!“ – „Also wenn sie meinen, dass es Ihnen schon besser geht und das Gesicht nach draußen halten, dürfen sie sich noch immer ins Auto setzen.“
Ich nahm dankend an. Der nette Polizist half mir hoch und ich setzte mich vorsichtig an den Rand der Rückbank. Und trank Wasser. Ich merkte wirklich wie mir die Farbe wieder ins Gesicht schoss und die Kraft wieder in die Glieder.
„Hat man Ihnen nicht gesagt, was sie machen sollen, wenn sowas passiert?“ Ich verneinte und sah nur Kopfschütteln.
„Wo wohnen Sie denn?“ Ich nannte die Adresse und zeigte mit dem Finger in die Richtung meiner Wohnung.
„Sollen wir sie nach Hause fahren?“ Diese Frage hätte man vielleicht vorausahnen können, aber ich war total überrascht. So viel Nettigkeit von der Polizei. Ich überlegte, ob ich dieses Angebot überhaupt annehmen darf.
Nach einigen Sekunden harten Ringens gewann der bequeme Teil von mir. Ein Polizeitaxi ist besser als gar kein Taxi! So nahm ich das Angebot mehrmals dankend an.
Ich bekam noch mal die Belehrung mich nicht zu übergeben und mich anzuschnallen und dann fuhren wir auch schon los. Und eine Minute später waren wir auch schon da.
„Das war ja nun wirklich keine große Strecke!“ meinte der Polizist im Auto. Ich lächelte nur etwas verlegen und schaute zu meinen Krücken. Sie stieg ich aus, verabschiedete mich von meinen neuen Freunden und „krückte“ durch meine Haustür.
Der Treppenflur: Die letzte große Barriere zwischen mir und meiner Couch.
Doch wie bewältigt man die Stufen am besten? Mit zwei Krücken und nur einem Fuß zum Aufsetzen? Ich brauchte ganze 5 Minuten aber dann war auch das geschafft. Ich trat in mein Reich ein, hängte meinen dreckigen Mantel an und legte mich mit dreckiger Hose und durchgeschwitzten Shirt auf meine Couch und schlief sofort ein.

(2013)

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